Ein neuer Band in der Krimi-Reihe des Hinstorff Verlages, zum ersten Mal ein historischer Rostock-Plot. Und wie sollte es im Reformations- und Luthergewühl dieser Tage anders sein: es geht um den Rostocker Reformator Joachim Slüter, sein Leben, sein Wirken und seinen Tod.
Bild: Hinstorff-Verlag (möchte ich entleihen) |
In neun retrospektiven Abschnitten
erzählt der blinde Vikar Dionysius Schmidt einem unbekannten Gönner, was am Pfingstsonntag
1532 und darum herum passierte: Joachim Slüter wurde vergiftet und dies
offensichtlich schleichend und systematisch, denn auch lange vor seinem Tod sei
der charismatische Prediger immer wieder blass und siech gewesen. Slüter wurde von
den Alt-Gläubigen vorgeworfen, dass er die gesamte Messe auf Deutsch hielt,
sodass jedes Wort, vom Schuldbekenntnis bis zum Segen, von der Gemeinde
verstanden werden konnte.
Bürgermeister Bernd Murmann beauftragte
damals Dionysius Schmidt, seinen Jugendfreund, den Mörder zu finden. Sein
Beweggrund? Unklar! Schmidt ist ein charmanter und gewitzter Führer durch die
Geschichte. Er ist: „Der Vikar mit dem lustigen Namen, der vor Jahren den
Lutherspruch über Slüters Tür auslöschte – wenigstens für ein paar Jahre.“ Denn
damals, als Schmidt selbst noch dem alten Glauben anhing, hatte dieser mit dem
Teerquast den Satz „Gottes Wort bleibt in alle Ewigkeit“ über dem Türstock des
Reformators Slüter überpinselt. Aber, auch Schmidt wechselte schlussendlich das
Lager. Der Erzähler ist ein sympathischer Feigling mit einem großen Vorteil, der
ihn hat überleben lassen: „Sie sagten, dass du alle kennst, aber immer neben
dem Streit stehst.“ Wahrlich – eine Lebensversicherung!
Und Schmidt sucht auf des
Bürgermeisters Geheiß, wenn auch mit gemischten Gefühlen, quer durch die Stadt
nach Beweisen, Indizien, spricht mit Menschen, sammelt Beobachtungen,
Meinungen, …….. In einer spannenden und amüsanten Geschichtsstunde entwickelt
sich der Kriminalfall. Und natürlich geht es der Zeit gemäß um die Kämpfe
zwischen Papisten und Martinisten; wie in einem Brennglas werden die großen
Fragen dieses Jahrhunderts für ganz Europa im Rahmen der Rostocker Verhältnisse
verhandelt: „Mag die Welt sich neuerdings sogar um die Sonne drehen – hier
bleibt alles beim alten, hier dreht sich die Sonne weiter um den Mittelpunkt
der Welt: den großen Markt.“
Schmidt sucht und der Leser mit ihm,
dankenswert unterstützt von einem relativ ausführlichen Personenregister,
(leider ohne Stadtplan, der auch hilfreich gewesen wäre!) bei den Honoratioren
der Stadt, unter anderem beim Juristen Oldendorp, der offenbar schwul ist und böse
schielt, und den der arme Schmidt bei der Lektüre eines frühen Pornos, dem
Aretino, erwischt. Und direkt hinter dem peinlich Berührten taucht dann auch
das dazugehörige Eheweib auf, ……. ups!
Diese Konstellation gibt dem Autor die
Gelegenheit, ein hintersinniges Sittenbild des damaligen Rostock zu entfalten,
in dem neben der Reformation auch der offene Antisemitismus dieser Zeit und die
Rolle des Buchdrucks Erwähnung und
dramaturgische Funktion finden. „Die Reformation, die doch erst nur die
Wittenberger Universität erfassen sollte und nun selbst bis Rostock gekommen
war – sie klang nach dem Knarren der Spindeln der Druckpressen in Dietzens
Druckerei.“
Ein Schuss Liebe ist auch dabei; wir
lernen eine erstaunliche Frau kennen, die, als junges Mädchen gegen ihren
Willen vom Vater hinter die Mauern des Klosters verbannt, Jahre später dem
damaligen Liebhaber gegenüber folgende Worte findet: „Jede von uns findet ihre
Antwort. Aber glaub mir: Auf Schwänze können wir alle ganz gut verzichten. Auch
von diesem Prügel haben wir uns befreit.“
Und natürlich ist der Leser immer auch
– neben der Suche nach dem Mörder - eingeladen, das gegenwärtige Rostock in der
Geschichte zu suchen, - und zu finden! Genüsslich wird gegen das Rostocker
Theaterpublikum ausgeteilt. „Auch an diesem Pfingstmarkt vermisste niemand das
Theater.“
Und auch Termingeschäfte, die heute als
Exzess der virtuellen Globalisierung viel gescholtenen, hat es damals schon
gegeben; „Die jungen Kaufleute handeln jetzt das ganze Jahr hindurch mit
Zetteln, mit denen die zukünftige Existenz einer Anzahl Heringsfässer durch
eine Unterschrift zugesichert wurde.“ – was die Älteren für durchaus gotteslästerlich
hielten.
Auch die anderen bekommen ihr Fett
weg, die Kirchenoberen, egal ob Katholiken oder Protestanten und der
Bürgermeister, die Ratsmitglieder, das komplette Establishment. Schon vor 500
Jahren fanden die Ratssitzungen mittwochs statt (oder auch nicht) und waren von
zweifelhaftem Gehalt und Nutzen.
Im Mittelpunkt immer deutlicher das
unselige Treiben des Bürgermeisters Bernd Murmann, der erst heimliche, dann
immer präsenter werdende Hauptdarsteller des Buches. Nach einem delikaten
Zwischenfall tönt es auf dem Marktplatz: „Ich glaube, wir bringen den Herren
Bürgermeister … in die Ratsstube. Was dort passiert, stinkt uns doch schon so
lange, da fällt die Schweinescheiße gar nicht weiter auf.“
Und unser Erzähler konstatiert zum
Ende der Geschichte: „Offensichtlich konnte man in der Stadt einen guten Ruf schnell
verlieren, wenn man nicht aus Rostock kam. Wer aber hier aufgewachsen war, der
konnte hier auch mit einem schlechten Ruf gut leben. Mein Freund, und was soll
ich dir sagen: So ist es heute noch!“
Mehr wird jetzt nicht verraten;
Selbstlesen unterhält und klärt den Mord!
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MB
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