"Der tote Reformator" von Frank Schlößer


Ein neuer Band in der Krimi-Reihe des Hinstorff Verlages, zum ersten Mal ein historischer Rostock-Plot. Und wie sollte es im Reformations- und Luthergewühl dieser Tage anders sein: es geht um den Rostocker Reformator Joachim Slüter, sein Leben, sein Wirken und seinen Tod.

Bild: Hinstorff-Verlag
(möchte ich entleihen)
In neun retrospektiven Abschnitten erzählt der blinde Vikar Dionysius Schmidt einem unbekannten Gönner, was am Pfingstsonntag 1532 und darum herum passierte: Joachim Slüter wurde vergiftet und dies offensichtlich schleichend und systematisch, denn auch lange vor seinem Tod sei der charismatische Prediger immer wieder blass und siech gewesen. Slüter wurde von den Alt-Gläubigen vorgeworfen, dass er die gesamte Messe auf Deutsch hielt, sodass jedes Wort, vom Schuldbekenntnis bis zum Segen, von der Gemeinde verstanden werden konnte.

Bürgermeister Bernd Murmann beauftragte damals Dionysius Schmidt, seinen Jugendfreund, den Mörder zu finden. Sein Beweggrund? Unklar! Schmidt ist ein charmanter und gewitzter Führer durch die Geschichte. Er ist: „Der Vikar mit dem lustigen Namen, der vor Jahren den Lutherspruch über Slüters Tür auslöschte – wenigstens für ein paar Jahre.“ Denn damals, als Schmidt selbst noch dem alten Glauben anhing, hatte dieser mit dem Teerquast den Satz „Gottes Wort bleibt in alle Ewigkeit“ über dem Türstock des Reformators Slüter überpinselt. Aber, auch Schmidt wechselte schlussendlich das Lager. Der Erzähler ist ein sympathischer Feigling mit einem großen Vorteil, der ihn hat überleben lassen: „Sie sagten, dass du alle kennst, aber immer neben dem Streit stehst.“ Wahrlich – eine Lebensversicherung!

Und Schmidt sucht auf des Bürgermeisters Geheiß, wenn auch mit gemischten Gefühlen, quer durch die Stadt nach Beweisen, Indizien, spricht mit Menschen, sammelt Beobachtungen, Meinungen, …….. In einer spannenden und amüsanten Geschichtsstunde entwickelt sich der Kriminalfall. Und natürlich geht es der Zeit gemäß um die Kämpfe zwischen Papisten und Martinisten; wie in einem Brennglas werden die großen Fragen dieses Jahrhunderts für ganz Europa im Rahmen der Rostocker Verhältnisse verhandelt: „Mag die Welt sich neuerdings sogar um die Sonne drehen – hier bleibt alles beim alten, hier dreht sich die Sonne weiter um den Mittelpunkt der Welt: den großen Markt.“

Schmidt sucht und der Leser mit ihm, dankenswert unterstützt von einem relativ ausführlichen Personenregister, (leider ohne Stadtplan, der auch hilfreich gewesen wäre!) bei den Honoratioren der Stadt, unter anderem beim Juristen Oldendorp, der offenbar schwul ist und böse schielt, und den der arme Schmidt bei der Lektüre eines frühen Pornos, dem Aretino, erwischt. Und direkt hinter dem peinlich Berührten taucht dann auch das dazugehörige Eheweib auf, ……. ups!

Diese Konstellation gibt dem Autor die Gelegenheit, ein hintersinniges Sittenbild des damaligen Rostock zu entfalten, in dem neben der Reformation auch der offene Antisemitismus dieser Zeit und die Rolle des Buchdrucks  Erwähnung und dramaturgische Funktion finden. „Die Reformation, die doch erst nur die Wittenberger Universität erfassen sollte und nun selbst bis Rostock gekommen war – sie klang nach dem Knarren der Spindeln der Druckpressen in Dietzens Druckerei.“

Ein Schuss Liebe ist auch dabei; wir lernen eine erstaunliche Frau kennen, die, als junges Mädchen gegen ihren Willen vom Vater hinter die Mauern des Klosters verbannt, Jahre später dem damaligen Liebhaber gegenüber folgende Worte findet: „Jede von uns findet ihre Antwort. Aber glaub mir: Auf Schwänze können wir alle ganz gut verzichten. Auch von diesem Prügel haben wir uns befreit.“

Und natürlich ist der Leser immer auch – neben der Suche nach dem Mörder - eingeladen, das gegenwärtige Rostock in der Geschichte zu suchen, - und zu finden! Genüsslich wird gegen das Rostocker Theaterpublikum ausgeteilt. „Auch an diesem Pfingstmarkt vermisste niemand das Theater.“

Und auch Termingeschäfte, die heute als Exzess der virtuellen Globalisierung viel gescholtenen, hat es damals schon gegeben; „Die jungen Kaufleute handeln jetzt das ganze Jahr hindurch mit Zetteln, mit denen die zukünftige Existenz einer Anzahl Heringsfässer durch eine Unterschrift zugesichert wurde.“ – was die Älteren für durchaus gotteslästerlich hielten.

Auch die anderen bekommen ihr Fett weg, die Kirchenoberen, egal ob Katholiken oder Protestanten und der Bürgermeister, die Ratsmitglieder, das komplette Establishment. Schon vor 500 Jahren fanden die Ratssitzungen mittwochs statt (oder auch nicht) und waren von zweifelhaftem Gehalt und Nutzen.

Im Mittelpunkt immer deutlicher das unselige Treiben des Bürgermeisters Bernd Murmann, der erst heimliche, dann immer präsenter werdende Hauptdarsteller des Buches. Nach einem delikaten Zwischenfall tönt es auf dem Marktplatz: „Ich glaube, wir bringen den Herren Bürgermeister … in die Ratsstube. Was dort passiert, stinkt uns doch schon so lange, da fällt die Schweinescheiße gar nicht weiter auf.“

Und unser Erzähler konstatiert zum Ende der Geschichte: „Offensichtlich konnte man in der Stadt einen guten Ruf schnell verlieren, wenn man nicht aus Rostock kam. Wer aber hier aufgewachsen war, der konnte hier auch mit einem schlechten Ruf gut leben. Mein Freund, und was soll ich dir sagen: So ist es heute noch!“

Mehr wird jetzt nicht verraten; Selbstlesen unterhält und klärt den Mord!

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Historisches:


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Aus Rostock:


MB

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