Der Kafka des Films - ein Nachruf

Während andere Regisseure mit ihren Filmen regelmäßig die Kino-Kassen klingeln ließen, war er beteiligt an einem der größten Flops der Hollywood-Geschichte. Während andere mit ihren Filmen sämtliche Preise abräumten, wurden seine niemals mit irgendeinem Oscar oder Golden Globe ausgezeichnet.
Und dennoch verstarb am 15. Januar einer der bedeutendsten Filmemacher der letzten 50 Jahre: David Lynch.

Dabei umfasst sein filmisches Vermächtnis gerade einmal 10 Spielfilme. Für ein künstlerisches Genie wie ihn aber ausreichend Stoff, um die gewohnten Strukturen des Leinwandgeschehens aufzubrechen: Literaturwissenschaftler sprechen von „kafkaesken Situationen“, Filmemacher von „lynchesken Welten“. Auch die Serien-Landschaft im Fernsehen revolutionierte er nachhaltig mit einer einzigen TV-Show.
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Lynch wurde am 20. Januar 1946 geboren. Als Kind wollte er nicht Filmemacher werden, sondern Künstler und diesen Weg verfolgte er dann auch konsequent. Eines Tages sinnierte er jedoch darüber, dass seine Gemälde ewig gleich blieben. Wenn Sie sich doch nur verändern und bewegen könnten… So hielt er mit Anfang 20 erstmals eine Kamera in der Hand und experimentierte zunächst mit Montagen.

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1977 erschien nach jahrelanger Arbeit und mit einem quasi nicht vorhandenen Budget sein erster Langspielfilm: „Eraserhead“. Lynch schrieb nicht nur Drehbuch und führte Regie, er spielte auch Sounds und Musik ein, baute die Kulissen und fertigte Requisiten an. Sein groteskes Erstlingswerk avancierte schnell zum umstrittenen Kultfilm und ebnete den Weg für „Der Elefantenmensch“ (1980).

Aus der Sicht Hollywoods ist das biographische Drama über den deformierten Jospeh Merrick (1862-1890) der erfolgreichste Film Lynchs: 8 Oscar-Nominierungen waren zu verbuchen. Hätte es damals schon den Oscar für Bestes Make-Up gegeben, hätte man wohl wenigstens diesen gewonnen, denn auf Grund dieses Films wurde diese Oscar-Kategorie nach Protesten ein Jahr später überhaupt erst eingeführt.

Für die Traumfabrik war ein neuer Stern am Regisseurs-Himmel aufgegangen und die Hoffnung, die katastrophale Produktion der Verfilmung vom SciFi-Bestseller „Dune – Der Wüstenplanet“ doch noch zu retten. Alejandro Jodorowsky und Ridley Scott waren bereits verschließen worden, nun sollte das 35-jährige Talent dem Projekt neuen Schwung geben. Lynch hielt durch aber seine 3,5-stündige Filmversion musste auf Druck der Studiobosse auf 2 Stunden Laufzeit gekürzt werden. Ein Todesstoß... und der Moment in dem Lynch schwor, nie wieder einen Film zu drehen, bei dem er nicht die kreative und vor allem finale Entscheidungshoheit hätte. Es war die Abkehr vom klassischen Hollywood-Kino und die erneute Hinwendung zur Kunst.
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Fortan sollte David Lynch mit den erzählerischen und visuellen Konventionen der Kinoleinwand brechen. Von „Blue Velvet“ (1986) bis „Inland Empire“ (2006) steigert sich zusehends das Surreale in seinen Werken. Er war nicht der erste Regisseur, der die Möglichkeiten des Mediums Film auf diesem Weg auslotete, aber er war diesbezüglich der prägendste für alle ihm nachfolgenden Generationen an Filmemachern.

Als Lynch dann 1999 doch noch einmal einen ganz herkömmlichen Film über die wahre Geschichte des Alvin Straight (1920-1996) dreht, gibt er ihm den doppeldeutigen Namen „The Straight Story“. Immerhin, so sagt er, handele es sich hierbei, um seinen experimentellsten Film...

Und dann war da noch „Twin Peaks“ (1990-1991,2017), die Serie, die sich um eine einzige Frage drehte, „Wer ermordete Laura Palmer?“, und damit erstmals ein Massenphänomen auslöste.
Bisher folgten Serien zwei Prinzipien: a) jede Folge muss einen abgeschlossenen Handlungsstrang erzählen, b) es darf möglichst keine übergeordneten Charakterentwicklungen und Storyveränderungen geben. Auf diese Weise war sichergestellt, dass die Zuschauer trotz verpasster Folgen ohne Probleme wieder in das weitere Handlungsgeschehen einsteigen konnten.

Lynch und Mark Frost verkehrten die Prinzipien in ihrer Mystery-Krimi-Serie um: jede Folge baute auf der vorhergehenden auf, offenbarte neue Erkenntnisse über die Charaktere und ihre Verstrickungen untereinander, eröffnete neue Perspektiven auf das Geschehen und warf Fragen auf, die den ungläubigen Zuschauer stets mit einem Cliffhanger zurückließen. Nach und nach eröffnete sich eine ganze Welt, die mit jeder Folge weiter erkundet wurde und neue Gesetze und Mysterien bekam. Dadurch wurde eine äußerst verdichtete Atmosphäre geschaffen, die den Betrachter in ihren Bann zog. Erstmals durfte und wollte man keine Folge verpassen und niemand wollte gespoilert werden.
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Mit der Kombination aus ungewohnter Erzählstruktur, den exzentrischen Charakteren, dem Genre-Mix, dem Sounddesign, den surrealen Elementen, dem Aspekt einer Serien-Mythologie und vielem mehr veränderte „Twin Peaks“ das Fernsehen für immer. „Lost“, „Sopranos“, „24“, „Mad Men“, „True Detective“, „Broadchurch“, „Akte-X“, „Fringe“ und viele andere wurden durch die Serie inspiriert, wären ohne sie vielleicht niemals entstanden.

Die Kritik an Lynch blieb trotzdem ambivalent: Für manche ist sein Schaffen visionär, für andere nur wirres Zeug. Ist das Kunst oder kann das weg?

Er selbst stellte irgendwann fest, dass nicht nur seine Gemälde, sondern auch seine Filme statisch und für immer gleich bleiben. Das einzige, was sich ändern könne, sei das, was Betrachter in beiden sähen und für sich persönlich mitnehmen könnten. Und das, so Lynch, sei wundervoll.

Danke für dieses Geschenk, Herr Lynch.

SeSa


Wer tiefer in das Leben und die Gedankenwelt von David Lynch eintauchen möchte, dem sei seine Autobiographie "Traumwelten" empfohlen.
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